Trauer im Wandel der Zeit

Die Bildsprache der Grabdenkmäler hat sich im Laufe der Jahrhunderte – hervorgerufen durch den Wandel der Todesanschauungen – stetig verändert. Während der Renaissance (ca. 1420 bis 1600) wurden Trauergebärden als übermächtiger Schmerz besonders expressiv dargestellt, mit drastischem Gesichtsausdruck, zerrissenen Kleidern, die Hände im Schmerz vor das Gesicht geschlagen.

Auch im Barock (ca. 1600 bis 1750) wurde die Empfindung von Trauer durch stark überzeichnete Figuren ausgedrückt, deren Gebärden das Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit durch Jenseitsvorstellungen und Totengedenken zum Ausdruck bringen. Die oft drastische bis hin zum makabren reichende Bildsprache wird im Zeitalter der Aufklärung wieder abgemildert.

Im 18. Jahrhundert veränderte sich die Körpersprache im Zuge der Selbstfindung und Selbstdefinition des Bürgertums. Gestik und Mimik wurden zurückgenommen, Gefühle wurden zunehmend verinnerlicht dargestellt. Die visuellen Vorbilder fand man in der klassischen antiken Figur. Anstelle des barocken Totengerippes tritt der trauernde Genius – der Bruder des Schlafes, ausgestattet mit der das verlöschende Leben versinnbildlichten Fackel.

Inszenierter Totenkult

In die klassizistische Grabmalkunst (ca. 1750 bis 1820) gingen antike Abschiedsmotive ein, die dem neuen Trauerideal entsprachen. Statt des figürlichen Schmucks kamen ausdrucksstarke Andeutungen: ein versonnener oder in die Ferne schweifender Blick, still im Schoß ruhende Hände oder ein vor das Gesicht gehobenes Tränentuch. Besonders häufig wurde die Gestik von trauernden Schönen dargstellt, die sich schmerzvoll über den Körper des Toten, dessen Sarkophags oder Urne beugen.

Die Romantik (ca. 1790 bis 1840) sucht ihre künstlerische Rechtfertigung in der Verherrlichung des Todes. Entsprechend dem wachsenden Bedürfnis nach romantisierenden Totenbildern zieren ab der Jahrhundertmitte vermehrt Engelskulpturen, ab etwa 1870 Plastiken voller neubarocken Pathos die Grabmale. Der Friedhof wird als melancholischer Totengarten inszeniert.

Grabdenkmal als Krönung

Im 19. Jahrhundert wird der Grabmalkult zum Denkmalkult: Das Grabdenkmal wird eine der zentralen künstlerischen und gesellschaftlichen Aufgaben des Historismus. Die Kunst adelt die Vergänglichkeit des Menschen, spendet den Hinterbliebenen Trost und schafft anmutige Sinnfiguren mit stark aufgeladener Symbolik und Gebärdensprache.

Die Vielfalt der Todesikonographie erlischt mit der fast völligen Aufgabe des künstlerisch gestalteten Grabmals nach dem Ersten Weltkrieg.





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